Ego States: Inneres Team und innere Konflikte – Wer bekämpft sich da eigentlich?
Das eigene Wort brechen, sich heute mal wieder selbst nicht leiden können oder plötzlich den Tacker durch den Raum werfen: Was ist manchmal los mit uns? Vielleicht stecken Teile Ihrer Persönlichkeit dahinter, die sich längst nach einer gemeinsamen Tasse Tee sehnen. Lernen Sie Ihre Ego States kennen.
Sich unterstützen oder schubsen: Wie steht es um ihr inneres Team?
Ein Herbstabend in Wien
Aus dem Wartezimmer der Praxis drang noch Licht, das müden Kastanienblättern vor dem Fenster einen warmen Anstrich gab.
Ein junger Spatz klammerte seine dünnen Füsse fester um einen nur unwesentlich dickeren Zweig, der unruhig im Wind schaukelte. Tapfer trotzte der kleine Vogel nassen Böen, um das spätabendliche Treiben geduldig zu beobachten.
Die winzige innere Uhr unter dem zerzausten Gefieder sagte ihm, dass heute etwas anders war.
Und er hatte Recht: Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um einen historischen Moment zu beobachten. Es war die erste Versammlung einer kleinen Gruppe von Psychologen, die sich nun jeden Mittwoch im Wartezimmer von Sigmund Freud traf.
Uneinige Vereinigung
Die Mittwochs-Gesellschaft legte 1902 den Grundstein für die später gegründete Internationale Psychoanalytische Vereinigung. Es begann als ein reger Ideenaustausch unter einigen der fähigsten Psychologen ihrer Zeit.
Die Anwesenden genossen es sehr, bei einem Tee endlich einmal frei sprechen zu können – und dabei verstanden zu werden. Natürlich waren sich dabei nicht immer alle einig.
So bestand Freud darauf, dass die Persönlichkeit auch besteht – und zwar aus drei festen Teilen: Dem Es, dem Ich und dem Über-Ich.
Diese überzeugte These traf nicht allerseits auf kritiklose Resonanz. Einer seiner Schüler vermutete, dass sich aus dieser Grundpersönlichkeit weitere Teile bilden konnten und mussten, wenn der Mensch anpassungsfähig in seiner Welt sein wollte. Dieser Schüler war Carl Gustav Jung und er argumentierte für das, was er später Komplexe nennen wird.
Und noch mehr Aufmüpfigkeit musste Freud ertragen. Paul Federn schloss sich Jung an und vermutete ebenfalls viele unterschiedliche Persönlichkeiten in uns, die nicht immer Kenntnis voneinander haben mussten. Er hatte einen eigenen Namen für sie: Ich-Zustände oder Ego States.
Eine Idee wird zur Theorie – und die Theorie zur Therapie
Als Federn an Zuversicht gewann, mit seiner Annahme richtig zu liegen, formulierte er eine erste Theorie.
Zu dieser gehörte die Annahme, dass wir uns immer als Ich empfinden – auch wenn gerade nur ein einzelner Ich-Zustand in unserer Psyche aktiv ist.
Im Alltag »führt« das Ich. Es ist unter normalen Umständen die dominante Teilpersönlichkeit.
Die meisten anderen Ego States sind unbewusst, handeln jedoch mehr oder weniger autonom. Diese Autonomie ist nach Jung die Grundlage jeglicher neurotischer Regung – Ego States haben einen eigenen Willen dazu, in unserem Leben Spuren zu hinterlassen.
Federn tauschte sich nun mit Psychologen und Psychotherapeuten seiner Zeit über die Theorie aus, die schliesslich auch Herz und Verstand eines amerikanischen Psychotherapeuten erreichte. Die Theorie hatte erfolgreich den Atlantik überquert, und wurde nun von John und Helen Watkins interessiert aufgenommen – und von da an über Jahrzehnte angewandt und erprobt.
Gemeinsam verfeinerte das Ehepaar die Theorie und entwickelte sie schliesslich weiter zur therapeutischen Methode.
Das Wesen der Ego States
Ego States gehören zu uns wie die Finger zur Hand
Obwohl wir nicht mit ihnen geboren werden, sind Ego States ein ganz natürlicher Teil unserer Psyche. Sie entstehen als Teil der natürlichen geistigen Entwicklung des Kindes im Dialog mit der Umwelt.
Unser Körper ist in Wahrheit eine Gemeinschaft verschiedener Individuen, die harmonisch zusammenarbeiten, um unsere Zugehörigkeit zu der Welt zu ermöglichen.
– Dr. Kai Fritzsche, Leiter des Instituts für klinische Hypnose und Ego State Therapie (IfHE)
Durch wiederholte Gedanken, Gefühle, Worte und Handlungsmuster entstehen dichte neuronale Netzwerke und dadurch auch eine biologische Realität der Ego States im Gehirn und Nervensystem des Menschen.
Ego States, so real wie Ihre Finger und in der Tiefe miteinander verbunden: Ihre Hand als lebendige Metapher für Ihre Psyche.
Wird von uns Handlungsbereitschaft zu einem Lebensthema gefordert, für das bereits ein Ego State in unserem System angelegt ist, so wird in Sekundenbruchteilen das zugehörige neuronale Netzwerk aktiviert.
Wir werden im Handumdrehen fähig, den benötigten Zustand aufzurufen.
Dieser Prozess läuft vollkommen unbewusst und hat uns im Laufe der Evolution sicher nicht nur ein Mal aus einer kniffligen Situation geholfen – auch wenn wir den Ego State, der uns zum Schutz unserer Kinder zuverlässig Säbelzahntigerschnauzen mit spitzen Stöcken treffen liess, mittlerweile seltener benötigen.
Sie wünschen sich Beispiele aus einer moderneren Welt?
Zum Lieben ermutigt
Lea ist ein verschmustes Kind und verschenkt gern Dinge. Sie stösst auf positive Resonanz einer liebenden Familie, die ihren Kuscheltrieb freudig erwidert.
Sie erfährt Dankbarkeit und ein Strahlen aus liebenden Augen als Reaktion auf ihre Art, mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten. Sie will also wieder und wieder geben und Nähe suchen, um diese Resonanz erneut zu erfahren.
Über die Zeit entwickelt sie eine tiefe Zuversicht, die geliebten Reaktionen erzeugen zu können. Sie bildet einen Nähe suchenden Ego State aus, der Geben und Lieben als bevorzugte Lösung für Lebensprobleme erkannt hat. Er wird von Lea gern, schnell und problemlos aufgerufen – und wird ein prägnanter Teil ihrer Persönlichkeit.
Lea wird von Freunden und Familie geliebt und wird immer wieder zu Offenheit und Leichtigkeit im Umgang mit Menschen ermutigt.
Leas Lebenswelt ist ein so wundervolles wie seltenes Szenario.
In die Verhärtung gezwungen
Nicht weit von Leas Haus entfernt wohnte damals Leon. Er brauchte dringend eine Lösung, mit plötzlichen Schlägen umzugehen.
Er brauchte einen Ego State als automatischen Schutzmechanismus, wenn seinen Vater eine aggressive Willkür packte. Die gesuchte Lösung war, auf Knopfdruck einen Modus aus Verhärtung und Abwehr aufrufen zu können.
Schliesslich wurde diese Verhärtung zum festen Teil seiner Persönlichkeit, jederzeit leicht aktivierbar. Das war sogar manchmal nützlich – wenn dieser Ego State tatsächlich benötigt wurde, konstruktiv aktiv werden konnte und zum richtigen Zeitpunkt leicht aufrufbar war.
Leon konnte sich deshalb in einigen Situationen zur Wehr setzen, in denen Lea verletzlicher gewesen wäre. Doch hätte Lea diese Situationen überhaupt erzeugt?
Ein persönlicher Problem-Magnet
Denn viel häufiger erschafft dieser Ego State unnötige Konfrontationen, die Leon eigentlich gar nicht will.
Er weiss auch nicht so recht, wieso ihm das immer wieder passiert. Dieser Teil seiner Psyche wird nicht nur dann aktiviert, wenn er ihn wirklich braucht. Leons Unterbewusstsein entscheidet eigenständig, wann es ihn ruft.
Nun wohnt Leon längst nicht mehr daheim. Doch der Ego State blieb nicht in seinem Elternhaus zurück – er begleitet ihn heute noch. Deshalb reicht manchmal schon ein kleines Missverständnis, um einen schroffen Teil seiner Psyche zu wecken, dessen Lösungsstrategien Abwehr und Verhärtung sind.
Das Potential für irritierende Konflikte liegt auf der Hand. Leon hat keinen Rückenwind, sondern ständig eine Böe im Gesicht.
Was passiert, wenn er sich umdreht?
Ein ganzes Team für unsere Erfüllung
Gesunde Ego States »verstehen« einander und arbeiten flüssig zusammen.
Sie bilden ein inneres Team, das unsere spontane Handlungsfähigkeit in kniffligen Situationen verbessert. Sie geben uns ein grösseres Repertoire von Antworten, mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen.
Ein weiteres Charakteristikum von Ich-Zuständen ist, dass ihr Entstehen in der Regel die Anpassungsfähigkeit des Individuums erhöht und es ihm ermöglicht, mit einem spezifischen Problem oder einer spezifischen Situation besser fertig zu werden.
– John und Helen Watkins in »Ego States – Theorie und Therapie« (2003)
Aufeinander eingespielte Ego States helfen uns dabei, ein gesundes Selbstbewusstsein und innere Ruhe zu entwickeln. Wir wissen, dass wir im richtigen Moment schon »umschalten« können, wenn es von uns gebraucht wird.
Also fühlen wir uns gut vorbereitet und können uns entspannen. Wir fangen an, uns selbst zu vertrauen – auch in kritischen Situationen und unter hoher Anspannung.
Völlig normal: Separate Persönlichkeiten
Ego States sind mehr als eine »Färbung« unseres Bewusstseins. Jeder Ich-Zustand hat eigene Emotionen, Erinnerungen, Überzeugungen und Fähigkeiten.
Jeder dieser Ego States reagiert anders auf seine Umwelt – und andere Situationen wecken andere Ego States. Die sorgfältig zurecht gelegten Vorhaben und eisernen Schwüre der einen Persönlichkeit können in einem anderen »Modus« plötzlich vollkommen vergessen sein.
Haben Sie schon mal einen Vorsatz zum neuen Jahr gebrochen? Und am nächsten Morgen wussten Sie dann auch nicht so recht, wie das passieren konnte und was daran überhaupt so verlockend war?
Zurück bleibt ein unbequemes Gefühl, von dem wir uns gern schnell wieder ablenken.
Der Wert des eigenen Wortes
Unter solchen Szenen kann auf Dauer unsere Selbstachtung leiden. Denn erinnern Sie sich: Wir empfinden uns immer als »Ich«.
Und dann brechen wir unser eigenes Wort und tun einfach nicht, was wir uns so fest vorgenommen hatten. In diesem Szenario sind wahrscheinlich Ego States unterschiedlicher Werte und Überzeugungen aktiv.
Oder es sind sogar die gleichen Werte, nur unterschiedlich interpretiert: Der eine Teil unserer Persönlichkeit ist überzeugt, dass Disziplin der Weg in die persönliche Freiheit ist. Der andere Teil will frei sein, auch mal zu geniessen. Beiden Ego States geht es um Freiheit – und trotzdem verstehen sie sich nicht.
Kommen solche Konflikte auf, sind wir nicht »aus einem Guss« und es fällt uns schwer, uns als ganzer und achtenswerter Mensch zu fühlen.
Neue Bedingungen aushandeln
Um unsere Ich-Zustände zu harmonisieren, können wir sie an einen Tisch bitten und einladen, wieder in Kommunikation miteinander zu treten.
Dazu müssen wir aktiv das Gespräch suchen, denn alles steht und fällt mit unserer Moderation des Austausches. Da Ego States ganz eigene Persönlichkeiten sind, können sie auch direkt angesprochen und befragt werden: Zu ihrer Geschichte, ihren Aufgaben, ihren Gefühlen und Erlebnissen, ihren Ängsten und Aggressionen.
So können wir etwas über die Entstehung unserer Ich-Zustände und dem Zweck ihrer Existenz in unserem Leben zu erfahren.
Doch zuerst ist wichtig zu wissen: Wen sprechen wir da eigentlich an?
»Dunkle« Ego States
Die Sollbruchstellen unserer Psyche
Dunkle Ego States werden von unserem Unterbewusstsein geschaffen, um unsere Grundpersönlichkeit vor Trauma und Schmerz zu schützen. Bleiben diese Anteile unserer Psyche abgespalten, beginnen sie ein Eigenleben.
Wird in kritischen Situationen ein ebenso verletzter wie unbewusster Ego State geweckt, werden wir oft von einer unerklärlich impulsiven Regung aus unserem Inneren überrascht. Wir werden laut, brechen in Tränen aus oder werfen Gegenstände durch den Raum.
Andere Menschen im Raum können ebenso irritiert sein: Wo kam das denn her?
Verletzte Ego States sind das schwache Glied in unserer »Kette«.
Bei einem hohen Level an Energie spüren wir unsere stabile Grundpersönlichkeit. Sinkende psychische Energie jedoch erhöht die Aktivität verwundeter und traumatisierter Ego States.
Höhere Anspannung und Unsicherheit halten die »Problemlöser« in uns in dauerhafter Aktionsbereitschaft und machen unser gesamtes psychisches System zerbrechlicher.
Oft reichen schon kleine Auslöser, damit eine viele Jahre alte Wunde wieder schmerzt.
Verletzte Ego States: Bitte nicht berühren
Geschwächte oder verletzte Ego States sind unser »wunder Punkt«.
Sie haben sich zum Schutz unserer Psyche abgekapselt und können mit Gefühlen der Zurückweisung, Angst, Verwirrung und Enttäuschung beladen sein.
Sie können einen Opfercharakter haben, der eine Strategie der Unterwürfigkeit und des Wegduckens verfolgt. Bloss keine Konfrontation, nur keine Konflikte erzeugen. Der Betroffene fühlt sich bei aktivem Ego State oft unfähig, sich selbst zu behaupten oder zu verteidigen.
Der verletzte Anteil kann auch die gegensätzliche Strategie wählen und stattdessen »täternahe« Positionen einzunehmen. Diese sind von aggressiven, entwertend-verächtlichen oder sadistischen Zügen geprägt. Hier wird die einst erfahrene Schwächeposition kompensiert, indem ein Positionswechsel erzwungen wird und wir endlich der »Stärkere« sein können.
Wir reagieren vielleicht mit Vermeidungsstrategien wie Süchten oder Zwängen. Dadurch wollen wir unbewusst alle Situationen meiden, die uns unseren wunden Punkt spüren lassen könnten.
Verletzte Ego States sind passiv. Die aktiv gelebte Aggression, Zwangshandlung oder Suchtroutine signalisiert den Übergang zum Retro-State.
Retro-States: In der Vergangenheit gefangen
Retro-States haben ein Verhalten erlernt, das uns einst »Luft zum atmen« gab. Das jeweilige Verhalten mag damals sinnvoll gewesen sein – und ist es jetzt vielleicht nicht mehr.
Bei Wutausbrüchen oder anderen impulsiven Reaktionen ist oft ein Retro-Zustand aktiv. Dieser hat gelernt, dass uns Wut schützt oder dabei hilft, den eigenen Willen durchzusetzen.
Retro-States können aktiv werden, um die Emotionen der wunden Punkte und verletzten Ego States nicht zu fühlen. Diese Kompensation kann neben Zwang und Sucht auch in Essstörungen und Selbstverletzung sichtbar werden.
Retro-States können bewusst gemacht und in die Persönlichkeit integriert werden, um nur dann aktiv zu sein, wenn sie wirklich gebraucht werden. Nur dann können sie auf eine konstruktive Art und Weise zum Einsatz zu kommen.
Nur dann werden sie fähig, Teil unseres inneren Teams zu werden.
Konflikt-States: Ein zerstrittenes Team
Ego States können mit anderen im Konflikt stehen – und Retro-States sind das häufig. Erst »lassen wir Dampf ab« und dann fühlen wir uns schlecht dafür.
Was passiert, wenn sich unser inneres Team einfach nicht einig werden will? Das gleiche wie in allen anderen Teams: Das Team ist geschwächt und die Teammitglieder verlieren aneinander Energie. Sie können nicht gemeinsam kraftvoll vorangehen, bis die Konflikte belegt sind.
Der Unterschied? Menschen können sich trennen und sich neue Verbündete suchen. Unser inneres Team bleibt jedoch bei uns. Ist dieses zerstritten, so verbraucht es die Energie, die wir eigentlich für die wirklich wichtigen Dinge benötigen.
Alle anderen bezwingen müssen, damit man stehen kann? Wieder und wieder? Klingt nach Reibungsverlusten.
Unsere angeborene Fähigkeit, kraftvoll und beweglich durch die Welt zu gehen und angemessen auf Herausforderungen und Menschen zu reagieren, wird geschwächt.
Konfliktzustände zeigen sich durch Aussagen oder Empfindungen wie »Ich hasse mich, wenn ich so bin«. Das kann als klares Zeichen verstanden werden, dass Ego States miteinander nicht in Harmonie schwingen können und Reibungsverluste in unserer täglichen Energie erzeugen.
Ein inneres Team oder ein Haufen Kobolde?
Bei aller »Dunkelheit« ist das Spiel abgespaltener Ego States nicht immer schmerzhaft oder dramatisch schicksalhaft.
Ein Zitat von Carl Gustav Jung beschreibt munter, wie sie – jedoch wieder unter dem Namen Komplexe – ganz menschliche Situationen erzeugen können, über die es sich zu lachen lohnt:
Die Komplexe benehmen sich ja wie kartesianische Teufelchen und scheinen sich an koboldartigen Streichen zu ergötzen.
Sie legen einem gerade das unrichtige Wort auf die Zunge, sie entziehen einem ausgerechnet den Namen der Person, die man vorstellen sollte, sie verursachen den Hustenreiz gerade beim schönsten Piano im Konzert, sie lassen den zu spät Kommenden, unscheinbar sein Wollenden mit Krach über einen Stuhl stolpern, sie empfehlen, bei einem Begräbnis zu gratulieren, anstatt zu kondolieren.
– Carl Gustav Jung, Ges. Werke
Wie also machen wir unsere inneren Kobolde in einer therapeutischen Situation erlebbar und integrierbar, bevor sie uns (wieder) über Konzertgäste stolpernd ins schönste Intermezzo husten lassen?
Die Ansätze der Ego-State-Therapie
Alte Begleiter wecken
Ego States können »aktiviert« werden. Erlebnisaktivierende und regressive therapeutische Methoden ermöglichen, unbewusste und dunkle Ego States ins »Licht« des Bewusstseins zu bitten.
Da diese Teile unserer Psyche starke Emotionen und alte Wunden tragen, ist eine vorsichtige Näherung wichtig. Deshalb stärken wir zunächst den inneren Beobachter. Dieser Teil in uns ist dazu fähig, auch die schmerzhaftesten persönlichen Erfahrungen aus einer gesunden Distanz und deshalb mit mehr Klarheit wahrzunehmen.
Eine Methode, durch den inneren Beobachter wahrzunehmen, ist die Bildschirm-Beobachter-Technik. Dabei werden Erinnerungen wie auf einer Leinwand betrachtet – und können vielleicht zum ersten Mal seit langer Zeit wieder angeschaut werden, ohne eine überwältigende körperliche Reaktion auszulösen. Dadurch bietet diese Methode einen Schutz vor erneuter Traumatisierung während der Therapie.
Gibt es noch andere Methoden, die uns auf dem Weg Schutz bieten können?
Das SARI-Prinzip: Wenn der Karabiner-Haken gut sitzt
Es ist wichtig, dass Sie bei der Neukonfrontation alter Erlebnisse nicht erneut »fallen«. Das SARI-Prinzip erfüllt auf psychischer Ebene die Aufgabe, die ein Sicherungsseil an der Felswand hat. Auf dem Weg nach oben sichern wir uns alle paar Meter ab.
Im ersten Schritt schaffen wir Sicherheit durch einen Fokus auf Ihre starken Ich-Zustände (Safety). Dieses »ressourcenorientierte« Vorgehen sorgt dafür, dass wir immer von einem stabilen Fundament aus arbeiten.
Aus einem sicheren Stand heraus suchen und betrachten wir die schmerzhaften Teile Ihrer Vergangenheit und Gegenwart, die noch nicht Teil Ihres inneren Teams sind (Accessing) – und deshalb auch noch nicht für eine selbstbewusst gelebte Zukunft nutzbar sind.
Wir arbeiten uns durch Ihre Trauma-Erfahrung hindurch und spüren, wie Sie seit dem Entstehen Ihrer Wunde gereift und dem Trauma jetzt gewachsen sind. Sie können die Erfahrung mit offenen Augen und aufrechter Haltung neu definieren. Dadurch kann es an- oder sogar aufgelöst werden und Ihre Psyche kann sich auf einem neuen Level stabilisieren (Resolving & Restabilisation).
Schliesslich arbeiten wir daran, Ihren neuen Seinszustand zu festigen (Integration & Identity). Sie haben etwas über sich selbst erfahren, vielleicht eine verdrängte Erinnerung erhalten. Diese kann nun ein gesehener und gewürdigter Teil Ihrer Geschichte werden und Ihre Identität stärken.
Sie können selbst definieren, welchen Sinn und Zweck die Erfahrung in Ihrem Leben hat. In Ihren Wunden steckt immer auch Licht und Lernenswertes – und die Chance auf charakterliche Reife.
Die Ziele der Ego-State-Therapie
Mehr Kontrolle durch den Mut, endlich loszulassen
Das Ziel der Therapie ist es, die unterschiedlichen Teile Ihrer Psyche sichtbar und erlebbar zu machen. Das ermöglicht Ihnen:
Diese Teile zu trösten, zu schützen und zu stärken,
Ihr konstruktives Potential zu erkennen,
Sie in die Gesamtpersönlichkeit zu integrieren und sie schliesslich
Bewusst nutzen zu können
Durch ein Bewusst-Machen der Ego States nehmen Sie ihnen die Unkontrollierbarkeit. Damit verlieren sie ihre unerwünschten Nebenwirkungen, bleiben aber Teil des psychischen Systems und werden konstruktiv nutzbar.
Was heisst das für Ihr tägliches Erleben?
Gegenspieler wechseln das Team
Sie können Mitglieder für Ihr inneres Team gewinnen – und zugleich weniger Gegner auf dem Spielfeld haben.
Einst »dunkle« Ego States können konstruktive Mitspieler im täglichen Erleben werden und Ihr Repertoire erweitern, angemessen mit Ihrer Umwelt umzugehen. Durch die Auflösung innerer Konflikte können Sie zuvor unfreiwillig gebundene Energie wiedergewinnen, die Sie neu investieren können.
Gegeneinander oder doch lieber miteinander?
Es kann ein Wandel Ihres Selbstbildes stattfinden. Es kann Ihr Weg vom verletzten und traumatisierten Menschen hin zu einem selbstsicheren Menschen mit vielseitigen Lösungsansätzen für tägliche Herausforderungen sein – und der nötigen inneren Ruhe, diese auch effektiv einzusetzen.
Es kann Ihr Schritt in ein neues Leben sein. Wie Sie sich auch entscheiden, eines ist sicher: Sie sind nicht allein.
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